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Ablenkung

Im Straßenverkehr ist Ablenkung eine oft unterschätzte Gefahr. Die Reaktionszeit und somit auch der Anhalteweg werden erheblich verlängert, das Unfallrisiko und auch die Schwere des Schadens steigen.

Kritische Situationen

  • Gesundheitsschäden durch Verkehrsunfälle aufgrund Ablenkung
  • psychische Belastung durch Herbeiführen eines Verkehrsunfalls

Mögliche Ursachen

  • Überforderung durch Vielzahl von Bedienelementen im Fahrzeug
  • Unkenntnis bei Bedienung in neuen Fahrzeugen
  • Überschätzung der fahrerischen Fähigkeiten
  • Unterschätzung der Veränderung des Anhalteweges aufgrund der Nutzung von IKT/Handy

Schutzmaßnahmen

Technische Schutzmaßnahmen:

  • Bedienung von IKT/Handy während der Fahrt technisch nicht möglich (Fahrzeugauswahl)
  • Sprachsteuerung/Freisprecheinrichtung

Organisatorische Schutzmaßnahmen:

  • Eingaben der Daten am Navigationsgerät vor Fahrtantritt oder während der während Fahrpausen
  • Nutzung des Telefons während der Fahrpausen
  • betriebliche Vorgaben zur Erreichbarkeit auf Fahrten
  • Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von IKT bei der Fahrzeugbeschaffung berücksichtigen

Personenbezogene Schutzmaßnahmen:

  • regelmäßige Fahrtrainings (zur Sensibilisierung gegenüber den Auswirkungen von Ablenkung)
  • Unterweisungen zum Umgang mit Fahrzeugen (vor allem bei Neufahrzeugen)

Hintergrundinformationen

Menschen sind nicht multitaskingfähig. Die psychologische Forschung geht heute davon aus, dass es im Gehirn keine echte parallele Bearbeitung von Aufgaben gibt. Zwar können verschiedene Reize parallel aufgenommen werden. Ist aber Aufmerksamkeit zur Bearbeitung verschiedener Aufgaben erforderlich, werden diese eher hintereinander abgearbeitet. Das Gehirn springt dann in einem schnellen Wechsel zwischen den verschiedenen Aufgaben hin und her.

Je komplexer die verschiedenen Aufgaben sind, desto schwieriger ist es für das Gehirn ausreichend Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Bei der parallelen Bearbeitung von komplexen Aufgaben steigt daher in der Regel die Fehlerhäufigkeit und das Stressniveau. Im Extremfall kann die Aufmerksamkeit von einigen der parallelen Aufgaben fast komplett abgezogen werden.

 

Blickabwendung durch Ablenkung

Als besonders kritisch ist jede Form der Ablenkung zu betrachten, die zu einer Abwendung des Blickes vom Verkehrsgeschehen führt. Während der Blickabwendung wird die Strecke im Blindflug zurückgelegt (siehe unten). Aber auch wenn der Blick wieder auf das Verkehrsgeschehen gerichtet wird, dauert es einige Sekunden bis eine Reaktion auf das Verkehrsgeschehen erfolgen kann, abhängig davon wie komplex die Aufgabe war, die zur Blickabwendung geführt hat. In Studien zum autonomen Fahren werden Übernahmezeiten von mehreren Sekunden gefunden. (Übernahmezeit ist die Zeit zwischen der Aufforderung eines autonom fahrenden Fahrzeugs an den Fahrer, die Steuerung zu übernehmen bis zur tatsächlichen Reaktion der Fahrers auf das Verkehrsgeschehen).

Selbst ohne Blickabwendung kann das dazu führen, dass wichtige Informationen über das Verkehrsgeschehen nicht oder nicht rechtzeitig wahrgenommen können bzw. darauf reagiert werden kann. Die Reaktionszeit und demzufolge auch der Anhalteweg des Fahrzeugs wird deutlich verlängert. Eine höhere Schadensschwere aufgrund höherer Geschwindigkeit bei einem Unfall sind die Folge.

Daher sollten stark ablenkende Tätigkeiten auch dann nicht während der Fahrt ausgeführt werden, wenn dazu keine Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erforderlich ist. Beispiele können hier eine Diskussion von problematischen Sachverhalten über eine Freisprecheinrichtung, das Diktat von komplexen Texten über ein Sprachinterface aber auch die emotionale Diskussion mit dem Beifahrer sein.

 

Unaufmerksamkeitsblindheit

Ein psychologisches Phänomen, welches auf der Unfähigkeit des Gehirns zur Teilung der Aufmerksamkeit beruht, ist die Unaufmerksamkeitsblindheit. Diese beschreibt ein Phänomen, bei dem die starke Konzentration auf einen visuellen Reiz dazu führt, dass andere visuelle Reize nicht wahrgenommen werden, selbst wenn sie sich deutlich durch das Blickfeld bewegen.

Ein sehr bekanntes Beispiel dafür ist die Studie „Gorillas in unserer Mitte“ (Simons & Chabris (1999), Perception). In Fahrsimulatorstudien konnte gezeigt werden, dass Fahrende, die sich auf eine visuelle Aufgabe konzentrieren (beispielsweise ob die Durchfahrtsbreite an einer nahenden Engstelle ausreichend für ihr Fahrzeug ist), Personen am Fahrbahnrand seltener wahrnehmen (zum Beispiel Murphy & Greene (2016), Appl. Cogn. Psychol.).

Weitere Studien

Eine US-amerikanische Studie konnte durch Auswertung von Unfallstudien zeigen, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit für einen Unfall durch Ablenkung steigt (Dingus et al. (2016) PNAS), zum Beispiel:

  • bei Telefonnummern-Eingabe um das 12-fache
  • bei Griff nach Objekten um das 9-fache
  • bei Tippen auf dem Smartphone um das 6-fache
  • bei Bedienung von Bordgeräten um das 4,5-fache

Eine Simulatorstudie konnte zeigen, dass die Einschränkung durch Telefongespräche während der Fahrt ähnlich denen einer Fahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,8 ‰ waren (Strayer et al. (2006) Human Factors).

Beispiel: Eine Sekunde Ablenkung - viele Meter Blindfahrt

Bei Tempo 50 bedeutet eine Sekunde Ablenkung 14 Meter Blindfahrt.

Bei Tempo 100 bedeutet eine Sekunde Ablenkung 28 Meter Blindfahrt.

Bei Tempo 130 bedeutet eine Sekunde Ablenkung 36 Meter Blindfahrt.

Bußgeld:

Bei Benutzung des Handys oder anderer elektronischer Geräte während der Fahrt wird ein Bußgeld von 100 Euro sowie ein Punkt im Fahreignungsregister fällig, wenn das Gerät in der Hand gehalten wurde.

 

Fazit:

Insgesamt sollte die Konzentration während der Teilnahme am Straßenverkehr möglichst ungeteilt dem Verkehrsgeschehen gewidmet werden. Mit der Zunahme der ablenkenden Tätigkeiten steigt immer das Unfallrisiko. Auch Gespräche mit der Freisprecheinrichtung oder Sprachbedienung sollten auf das absolut notwendige Maß beschränkt werden. Beispielsweise kann bei einem eingehenden Telefonanruf dem Gesprächspartner unter Verweis auf die Fahraufgabe ein Rückruf angeboten werden. Dieser Rückruf kann dann bei stehendem Fahrzeug ausgeführt werden.